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Am 29. September 2012
fand in Warschau eine der größten Demonstrationen seit Jahren
statt. Trotz des oppositionellen Anstrichs, den sich dieser Protest
gab, war er von der katholischen Radiostation TRWAM initiiert und die
Gewerkschaft Solidarność
mobilisierte rund 30.000 Personen. Es folgt eine Analyse
dieser Proteste und warum es die GenossInnen der
Związek
Syndykalistów Polski (ZSP)
für notwendig erachten eine andere Meinung auf die Straße zu
tragen.
Während die
ökonomische Krise vor allem die ArbeiterInnen- und Mittelklasse mit
großer Wucht trifft, gelingt es den Rechtspopulisten und der
radikalen Rechten in Polen immer besser die Menschen in reaktionären
Bewegungen zu sammeln. Daher gewinnen diese Gruppen eine immer
größere soziale Relevanz. Anstelle einer realistischen Analyse der
ökonomischen und politischen Kräfte hinter der aktuellen Situation,
greifen diese Gruppen die Regierungsverantwortlichen an und lassen
die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus unberührt. Die zunehmenden
Entfremdung der Menschen führt zu Hoffnungslosigkeit und Passivität.
Die Frustration resultiert aus der sozialen Exklusion weiter Teile
der Bevölkerung, darunter ältere Menschen und der verarmten Teil
der ArbeiterInnenklasse. In diesem Zustand lassen sie sich von
Nationalstolz und Religion mobilisieren.
Die Führer
der rechten Bewegung kanalisieren die soziale Frustration in Richtung
dieser Ideologien. Sie gelangen dadurch an rechte Wählerstimmen,
denn ihre leicht nachzuvollziehende Nachricht heißt: wählt uns,
dann wird euch nichts Schlimmes passieren.
Am 29.
September demonstrierten zwischen 50.000 bis 100.000 Menschen in
Warschau. Die am stärksten vertretene Gruppe bestand aus den
Mitgliedern der Gewerkschaft Solidarność,
die über eine große rechte und konservative Basis verfügt. Der
Anführer von Solidarność bezeichnete seine Organisation gegenüber
der Presse als "christliche Gewerkschaft". Bei
arbeitsbezogenen Themen bringen sie nicht so viel
Menschen auf die Straße. Vielen Teilnehmenden empfanden die
Demonstration als oppositioneller Protest gegen die aktuelle
Situation.
Doch die
Tendenz dieser oppositionellen Mentalität ist gefährlich, denn sie
bringt verschiedene soziale Kräfte zusammen, die, obwohl sie
gemeinsam gegen etwas sind, die bestehenden Verhältnisse bestätigen.
Es ist eine der Methoden der Eliten um bei den Menschen Unterstützung
zu gewinnen. In diesem Fall war klar, dass die Führung der
Solidarność, die
schon des öfteren als Vasall der Partei
Prawo i Sprawiedliwość (PiS) auftrat, ihre Mitglieder und
Ressourcen erneut dazu missbrauchen würde, um der PiS zu mehr Macht
zu verhelfen.
Die ZSP
meidet prinzipiell diese Art "oppositioneller"
Veranstaltungen. Vor wenigen Jahren, als die Konservativen und die
klerikale Rechte noch über mehr Macht verfügten und selbst die
Faschisten in der Regierung Ministerposten inne hatte, mieden wir
diese Proteste der Opposition ebenso, denn sie waren in Wirklichkeit
von der liberalen Elite manipuliert. Heute sind die neoliberalen
Kräfte an der Macht. Sie sind etwas weniger klerikal, dafür mehr
pro-europäisch. Und die Opposition hat ihr Gesicht gewandelt. Unsere
Politik bleibt die gleiche und bewegt sich außerhalb des politischen
Establishment. Sie richtet sich prinzipiell gegen Regierungen und
nicht gegen die Regierung irgendeiner bestimmten politischen Gruppe.
Wir setzen uns gegen jede Macht und für die Selbstverwaltung aller
Lebensbereiche ein.
Ursprünglich
wollte Komitet Obrony Lokatorów (dt.:
MieterInnen-Verteidigungs-Komitee) am 29. September eine
Demonstration veranstalten. Als dann die große Versammlung der
Opposition angekündigt wurde, mussten neue Überlegungen angestellt
werden. Einer der Gründe dafür war der Umstand, dass an diesem Tag
eine große Anzahl Rechtsradikaler auf den Straßen anzutreffen sein
würde, darunter faschistische Schläger, die bereits damit gedroht
hatten Mitglieder der ZSP anzugreifen. Unabhängig davon waren sich
die Mitglieder der ZSP darüber einig, dass die Demonstration trotz
des sozialen Klimas dieses Tages stattfinden muss.
Trotz
einiger Anstrengungen mehr Leute für unsere Demonstration zu
mobilisieren, gingen lediglich die MieterInnen, die ZSP und einige
Linke auf die Straße. So ist das wahre Gesicht der mikroskopisch
kleinen Linken in Polen.
Zwei Tage
vor der Demonstration gab es die Nachricht im Fernsehen, dass unklar
sei ob unsere Demonstration stattfinden könne, da die
klerikal-gewerkschaftliche Versammlung genau die gleiche Route
eingeplant hatte, nur aus der anderen Richtung. Wie sich
herausstellen sollte, war es ihnen gelungen, die Veranstaltung als
"religiöse Prozession" anzumelden, wofür keine besondere
Erlaubnis der Stadt notwendig ist. Als die Demonstration der
MieterInnen und der ZSP begann, mussten wir feststellen, dass die
katholischen Medien große Leinwände aufgebaut hatten, von denen die
ganze Zeit Meldungen tönten. Deshalb war klar, dass wir uns an einen
anderen Ort begeben mussten, um überhaupt von jemandem gehört zu
werden.
Auf unserer
Route trafen wir viele Menschen: GewerkschafterInnen, die zur anderen
Versammlung gingen, Menschen, die nur zuschauen wollten,
WarschauerInnen bei ihren täglichen Geschäften und TouristInnen der
Hauptstadt. Trotz dem bedrohlichen Bild, dass die Medien von uns
aufgebaut hatten, verlief die Demonstration ganz normal. Wir trafen
auf Menschen, die uns unterstützten, und gelegentlich auf den
üblichen Yuppie- und Faschisten-Abschaum, von denen immer wieder die
gleichen Witze zu hören waren. Und wie üblich sagten wir ihnen,
dass sie verschwinden sollen und setzten unsere Demo fort.
Es gab
einige gute Reden, vor allem von MieterInnen, mit einem sehr tief
gehenden Verständnis der aktuellen Verhältnisse. In Bezug auf die
andere Demonstration, deren Slogan "Polen erwache"gewesen
ist, riefen die MieterInnen die Menschen dazu auf, endlich die
Maßnahmen der Banken, Stadtplaner, Wohnungsspekulanten und deren
Verhältnis zur politischen Elite zur Kenntnis zu nehmen. Es gab
Aufrufe endlich Klassenbewusstsein zu entwickeln, selbst an die
Mittelklasse, die zwar jetzt noch Arbeit hat, die jedoch mit
Hypotheken und Krediten verschuldet ist und die ebenso eine prekäre
Zukunft erwartet. Seit Jahren kümmert sich die Mittelklasse nicht um
die Armen der Gesellschaft. Stattdessen gehört es zu ihrer
neoliberale Ideologie, die Armen für die Situation verantwortlich zu
machen. Diese Ideologie wird auch von den wichtigsten Medien
vertreten, deshalb ist es wichtig darüber aufzuklären.
Viele
Menschen blieben stehen, hörten zu und wir verteilten tausende
Flugblätter. Das Flugblatt der MieterInnen kritisierte die Idee,
dass die Menschen nur zu ein paar wenigen symbolischen
Demonstrationen auf die Straße gehen, aber niemals die Dinge selbst
ansprechen. Sie riefen die Menschen dazu auf sich selbst zu
organisieren und Basisbewegungen zu gründen, wie beispielsweise das
Komitet Obrony Lokatorów. Hier wird eines der zentralen Probleme
angesprochen: die Unfähigkeit der Menschen sich selbst zu
organisieren. Da dies nicht gelingt, wirken Veranstaltungen, wie die
klerikal-gewerkschaftliche Demonstration auf die Menschen, als wäre
dies die einzige soziale Bewegungen im Land.
Als die
Polizei sah, dass wir unsere Demonstration in dem von uns geplanten
Rahmen abhalten würden, haben sie die große Versammlung solange
aufgehalten, bis wir unsere kleine Demonstration beendet hatten. Wir
gelangten zum Startpunkt der großen Demonstration und begaben uns zu
einem Platz in dessen Umgebung. Dort hielten wir weitere Reden und
die Teilnehmenden der anderen Demonstration und Passanten hörten zu.
Nachdem sich
unsere Schlusskundgebung aufgelöst hatte, versuchten einige
Mitglieder der ZSP mit Gewerkschaftern der Solidarność
ins Gespräch zu kommen. Es gibt besonders eine Region in der
die ArbeiterInnen eine differenzierte Haltung einnehmen und zu
militanten Aktionen greifen. In der Vergangenheit hatten wir gute
Kontakte zu den Basismitgliedern dieser Region. In den letzten Wochen
sprachen sie sich für einen Generalstreik aus. Das hat eine ganz
andere Qualität als die Stellungnahmen der Gewerkschaftsführung.
Der Boss von Solidarność
hat diese Drohung zwar einige Male ausgesprochen, aber nur um
damit politischen Eindruck zu machen. Alle Mitglieder mit denen wir
sprachen, waren der Auffassung, dass das Wort "Streik" nur
ein politisches Spiel der Gewerkschaftsbosse ist. Doch für einige
Mitglieder der Basis ist das kein Spiel und sie fordern resolutere
Aktionen.
Wir
verteilten eine spezielle Ausgabe unserer Zeitschrift, mit mehrere
Artikel zum Thema Streik. Wie üblich rief das bei vielen
ArbeiterInnen Interesse hervor, da sie mit der Passivität ihrer
Gewerkschaft unzufrieden sind.
Die ZSP ist
trotz der insgesamt feindseligen Atmosphäre des Tages auf die Straße
gegangen, vielleicht mit weniger Menschen als geplant. Damit haben
wir uns gegen die defätistische Haltung der Opposition gestellt, die
auf der Straße rechte Parolen verbreiten. Die Straßen sind noch
immer voll mit sozial ausgeschlossen und frustrierten Menschen, die
nur zu solchen Veranstaltungen gehen, weil es die einzigen großen
Ereignisse sind oder die einzigen von denen sie Kenntnis erhalten.
In Zeiten
wie diesen gewinnen die rechtspopulistischen und rechtsradikalen
Bewegungen immer mehr AnhängerInnen, da sich die Linke auf dem
Rückzug befindet. Besonders schlimm ist seit den letzten 2-3 Jahren
die Zusammenarbeit bestimmter linker Gruppen mit dem neoliberalen
Establishment am 11. November, dem polnischen Nationalfeiertag. Gegen
den Aufmarsch rechter Kräfte an diesem Tag gab es regelmäßig eine
antifaschistische Demonstration, die ursprünglich von AnarchistInnen
organisiert worden war. Dann begannen einige der AnarchistInnen mit
der deutschen Partei Die Linke und polnischen Liberalen
zusammenzuarbeiten. Ein größeres Fiasko ist innerhalb der
antifaschistischen Bewegung kaum vorstellbar. Die Faschisten
mobilisierten daraufhin tausende Menschen. Was als jährlicher
Aufmarsch einiger Verrückter begann, brachte im vergangenen Jahr
20.000 Menschen auf die Straße. Angesichts dieser Übermacht wissen
die links-liberalen Kräfte nicht weiter und verschanzen sich hinter
verschlossenen Türen oder in Cafés. Die Organisatoren des
diesjährigen faschistischen Marsches am 11. November brachten
während der Demonstration am 29. September rund 130.000 Flugblätter
unter die Leute, in der Hoffnung für den diesjährigen
Nationalfeiertag noch mehr Menschen mobilisieren zu können.
Der 11.
November ist ein Fiasko für die linke und teilweise die
anarchistische Bewegung in Polen, da sie mit der Elite des Landes
zusammenarbeiten, in der Hoffnung dadurch mehr Menschen zu erreichen.
Durch diese Haltung haben sie sich nicht nur von der radikalen
antifaschistischen Bewegung entfernt, sondern auch von der
ArbeiterInnenklasse, denen sie nichts mehr zu sagen hat. Es fällt
ihnen überhaupt schwer etwas relevantes zu sagen. Die Arbeit dieser
Bewegungen ist auf die Kommunikation in Cafés, Universitäten und
intellektuellen Medien beschränkt. Dadurch sind sie weit von den
Teilen der Gesellschaft entfernt, die von der Krise am stärksten
betroffen sind.
Unser Kampf
findet dagegen auf der Straße statt. Wir hoffen, dass wir an diesem
Tag einige Menschen erreichten, die über unsere Worte nachdenken
werden.
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