9.28.2012

Gegen die Wurzel allen Übels

Die FAU Bielefeld lud am Montag, 23.9.2012 zur PRO- und CONTRA-Diskussion über die Kampagne „Reichtum besteuern – umfairteilen“ ein. Es kamen ca. 25 Personen aus unterschiedlichsten Gruppen und als Einzelpersonen.

Das Ganze verlief in einer kommunikativen, friedlichen und respektvollen Atmosphäre. Einig waren sich wohl alle Anwesenden darin, dass der Kapitalismus die Wurzel allen Übels ist und eigentlich so schnell wie möglich weg muss, nur wie geht der Weg dorthin?

Die inhaltlichen Differenzen wurden dagegen um so deutlicher, so das am Ende einige Fragen standen, mit denen beiden Seiten werden leben müssen. Dies waren u.a.:

Ist eine „Kampagne“ überhaupt geeignet, die angegebenen Ziele zu verwirklichen bzw. die Gesellschaft demokratischer, sozial „gerechter“ zu machen?


Können Parteien überhaupt eine emanzipatorische Rolle in sozialen Bewegungen spielen oder „befrieden“ sie sie nur, um ihnen die radikalen Spitzen zu nehmen, sie zu verharmlosen, anzupassen an die Mechanismen der Parteipolitik?
Wozu wird ein Staat mehr Geld ausgeben, wenn er es über die anvisierte neue Steuer erhält, für Schuldenabbau und soziale Aufgaben oder für „goldene Kloschüsseln“, sprich unsinnige Großprojekte, Militäreinsätze, Bankenrettungen etc.?

Ist eine soziale Bewegung als solche zu erkennen und ernst zu nehmen, wenn sie sich in ihren Forderungen auf den Staat bzw. die Handlungen staatlicher Organe fixiert?

Welche Rolle spielen Parteien in der Gesellschaft, sind nicht gerade sie Faktor von zunehmender Entdemokratisierung (Parteimanager_innen, Expertentum …)?
Kein Staat heißt eben auch kein Sozialstaat, aber was dann bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit usw.?

Geht das, „sozial auch ohne Staat2? Welchen Fragen, Antworten, Ideen, Konzepte hat ein anti-staatliche, libertäre Linke auf den „Sozialstaat“?
Warum fehlen in der Kampagne Themen wie die Produktion sozialer Hierarchien und Ungleichheiten, die Frage nach ihren kapitalistischen Ursachen, die zugunsten eines nebulösen Begriffs von „sozialer Gerechtigkeit“ aufgegeben werden?

Wie der Titel der Kampagne nahelegt, geht es ihr gleichermaßen um die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums wie um soziale Gerechtigkeit. Wir werden im Folgenden zeigen,
– dass das Ziel der Umverteilung mit den geplanten Maßnahmen weder erreicht wird noch überhaupt das eigentliche Ziel ist;
– dass die Kampagne mit sozialer Gerechtigkeit in unserem Verständnis nichts zu tun hat;
– dass das Kampagnenkonzept in seiner Politik- und Staatsfixiertheit ein Auslaufmodell in der Linken ist.
Außerdem bezweifeln wir angesichts der beteiligten Organisationen die inhaltliche Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens und unterstellen, dass es vielmehr in der Bereich der Alibipolitik und Parteienpropaganda fällt.

Kern der Forderungen ist eine Vermögenssteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe. Durch hohe Freibeträge soll sichergestellt werden, dass nur die 1 bis 2% der Reichsten betroffen sind. Die weiterhin geforderte Steuer auf Finanzmarktgeschäfte kann hier außer Betracht bleiben, da sie ja mittlerweile selbst von den Regierungsparteien befürwortet wird, sodass man mit ihr buchstäblich offene Türen einrennt.

Ungeachtet der im Kampagnentitel beschworenen Verteilungsgerechtigkeit geht aus dem Aufruf und sonstigen Statements eindeutig hervor, dass die Entlastung der öffentlichen Haushalte, das Stopfen von Schuldenlöchern, also rein staatspolitische Ziele, die Hauptstoßrichtung darstellen. Tatsächlich ist eine gewisse Sanierung maroder Staatsfinanzen auch das einzige Ziel, was sich realistischerweise erreichen ließe.
Dennoch schlagen die Umfairteiler in ihrer „politischen Plattform“ radikale Töne an und behaupten, die von ihnen geplante Vermögensabgabe würde „einen substanziellen Teil der großen Vermögen zugunsten des Gemeinwesens umverteil[en]“.1
Dieser Aussage zufolge könnte man fast denken, „Vermögensabgabe“ bedeutet, dass die Reichen zum Finanzamt gebeten werden, um dort ihr Vermögen abzugeben. Ganz so revoluzzerhaft ist die Sache aber dann doch nicht gemeint, wie aus dem „Kleingedruckten“ hervorgeht.
An was ist konkret gedacht? Eine Vermögenssteuer mit einem Steuersatz von 1,5%, die 20 Milliarden Euro jährlich bringen soll, sowie eine einmalige Vermögensabgabe von 20%, allerdings verteilt auf zehn Jahre, d.h. 2% pro Jahr, die insgesamt 300 Milliarden in die öffentlichen Kassen spülen soll.
50 Milliarden zusätzlicher Steuereinnahmen pro Jahr, vielleicht mit Finanztransaktionssteuer auch 60 – das hört sich viel an, ist jedoch bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, verglichen mit den Summen, die bei der Bankenrettung oder der Euro-Krise kursieren. Und trotz des explosionsartigen Wachstums der Einkommen und Vermögen an der absoluten Spitze der Reichtumsskala wäre angesichts der bescheidenen Steuersätze und der kleinen Zahl von Betroffenen die Umverteilungswirkung zwangsläufig gering.
Wie wenig mit solchen Maßnahmen die bestehende Einkommenskluft verringert, vermutlich nicht einmal das weitere Auseinanderklaffen aufgehalten werden kann, verdeutlicht ein kurzes Rechenmodell am Beispiel der USA, das sich sicherlich mit geringfügig anderen Zahlen auch auf Deutschland übertragen ließe.
Der Anteil des reichsten 1% der Bevölkerung am Nationaleinkommen (nicht Vermögen!) verdoppelte sich zwischen 1980 und heute von 8% auf mehr als 16%. Diese Personengruppe zahlt nach neusten Berechnungen durchschnittlich 35% Steuern. Neben bemerkt: weniger als ein amerikanischer Durchschnittsverdiener (der Milliardär Warren Buffet wunderte sich kürzlich, dass er prozentual weniger Steuern zahlt als seine Sekretärin).
Wollte man bloß zum Stand der Einkommensverteilung von 1980 zurückkehren, müsste man die Steuerlast der Superreichen auf 62,5% erhöhen. Von solchen – im Grunde noch sehr gemäßigten – Absichten sind die Umfairteiler weit entfernt. Mit anderen Worten, die Umverteilungswirkung ihres Konzepts wäre selbst im besten alle Fälle (die Vermögenssteuern werden eingeführt und erzielen die erhofften Summen) – gleich null.
Von all dem bleibt natürlich die entscheidende und grundsätzliche Frage völlig unberührt. Was hat all das mit sozialer Gerechtigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit zu tun? Wenn der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens das 100-fache des Hausmeisters verdient, ist das sozial gerecht? Und wenn er das 200-fache verdient, ist das eine schreiende Ungerechtigkeit, die weder sozial noch menschlich vertretbar ist? Mit Verlaub, die ganze Denkweise in solchen Kategorien, wie sie vielen aktuellen Reichtumsdebatten implizit zugrunde liegt, erscheint uns als völlig absurd.
Uns geht es darum, die Tatsache wieder denkbar und diskutierbar zu machen, dass der gesellschaftliche Reichtum kollektiv erzeugt wird und alle das gleiche Anrecht haben, an ihm teilzuhaben, dass folglich seine kollektive Aneignung das perspektivische Ziel sein muss. Es gibt keinerlei Rechtfertigung irgendwelcher Einkommens- oder Verteilungshierarchien. Eine solche Debatte wurde immerhin Anfang der 1970er Jahre auch in reformistischen Gewerkschaften wie der französischen CFDT oder der italienischen CGIL und CISL geführt.2 Ging es damals um die Berechtigung von Lohn- und Einkommenshierarchien, so wird heute, im Rahmen der Commons-Debatte, sozusagen vom anderen Ende her, über den gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Gütern diskutiert.
Wir glauben, dass wir damit der Frage der Verteilungsgerechtigkeit auf theoretischer wie auf praktischer Ebene näher kommen als mit frommen Appellen an die Politik, doch bitte steuerliche Umverteilungsmaßnahmen einzuleiten.

Wie soll eine Vermögenssteuer praktisch durchgesetzt werden? Ist der Steuermechanismus in Zeiten der Globalisierung, d.h. der weltweiten Kapitalmobilität überhaupt ein zeitgemäßes Umverteilungsinstrument? Die Initiatoren der Umfairteilen-Kampagne geben sich zuversichtlich: „Alle Deutschen wären mit ihrem gesamten Weltvermögen steuerpflichtig“. Der Konjunktiv ist hier allerdings der entscheidende Satzteil, denn um dergleichen Realität werden zu lassen, sind mehr als bilaterale Steuerabkommen mit dem einen oder anderen Staat vonnöten.
Als Lösung genannt wird eine EU-weite Fiskalpolitik, die sicherlich kommen wird, weil sie auch im Interesse der europäischen Macht- und Geldeliten liegt. Auch der EU-Beitritt der Schweiz und damit ihr Ausfall als Steueroase ist eine realistische Perspektive. Doch ob es das vordringliche Ziel einer europäischen Steuerbehörde wäre, den „Reichtum zu besteuern“, steht auf einem anderen Blatt. Und selbst wenn... notwendig wäre nichts weniger als eine Weltsteuerpolitik und die ist beim besten Willen nicht absehbar.
Was uns an der Umfairteilen-Kampagne von vornherein irritierte, war die starke Parteienpräsenz. Die Grünen und die Linke sind direkt vertreten, die SPD über mehrere, ihr nahestehende Organisationen. Die Schieflage dieses Kampagnen-Konstrukts wird noch dadurch verstärkt, dass die Parteien nicht nur Initiatorinnen, sondern zugleich Adressatinnen des Bündnisses sind. Sie appellieren also faktisch an sich selber, wenn es im Aufruf heißt: „Wir fordern Landtage, Bundestag und Parteien auf, sich unseren Forderungen anzuschließen“.
Der Verdacht, sich es hier in Wahrheit nicht um Inhalte, sondern um bloße Wahlpropaganda geht, ist somit nicht von der Hand zu weisen. Wenn wir auf die Forderungen des Umfairteilen-Bündnisses inhaltlich eingegangen sind, dann nehmen wir sie vermutlich ernster, als sie eigentlich gemeint sind. Wahrscheinlich haben sie die rein taktische Funktion eines kleinsten gemeinsamen Nenners, auf den sich die beteiligten Parteien, ungeachtet ihrer sonstigen Unterschiede, einigen können, weil er der Absicht von allen dient, sich vor den Wahlen als Anwältin der kleinen Leute zu inszenieren.
Dazu ist die Thematik einer „Reichensteuer“ aufgrund ihrer populistischen Dimension besonders gut geeignet. Sie appelliert an das kleinbürgerliche Ressentiment gegen „die da oben“, die Reichen und Spekulanten. Und damit kommen wir zur regelrecht gefährlichen Seite von „Umfairteilen“. Die Kampagne beschwört die nationale Solidargemeinschaft, der sich die Reichen als Steuerflüchtlinge und Global Player entziehen. In der „Politischen Plattform“ des Bündnisses ist mit deutlich nationalistischem Unterton vom „Gestaltungsspielraum unserer Demokratie und unseres Sozialstaates“ die Rede. Und an anderer Stelle geht es in eine noch fragwürdigere Richtung, wenn denen, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, gedroht wird: „Steuerflüchtige müssten dann [d.h. wenn sie nicht zahlen] den deutschen Pass abgeben“.
Abgesehen davon, dass solche drastischen Drohungen zumeist nichts anderes als Ausdruck realpolitischer Ohnmacht sind (siehe die oben angesprochene Durchsetzungsproblematik): Besser (bzw. schlechter) hätte es die NPD auch nicht formulieren können. Mit dem Unterschied, dass die NPD den Reichen, die keine Steuern zahlen, als „Volksfeinde“ noch die MigrantInnen hinzufügt, die „unseren Sozialstaat“ ausnutzen. Der populistische Diskurs beinhaltet also immer die Gefahr, als Türöffner für den rassistischen Diskurs der Rechtsradikalen zu fungieren.

Noch ein paar Worte zum Demokratieverständnis der Kampagne. Uns schwante, wie erwähnt, angesichts der Parteiendominanz im Bündnis schon Böses, nämlich dass sich ParteienvertreterInnen die Schlüsselpositionen sichern werden, um die Kampagne im Sinne ihrer Organisationsinteressen zu steuern. Diese Befürchtung wird offenbar durch die Realität noch übertroffen. So beschreibt Heiko Laning im aktuellen „ak“ die Vorgänge rund um Umfairteilen aus Hamburger Sicht:
„Mitte Juli reiten externe Campaigner von campact in Hamburg ein und laden ausgewählte Organisationen bzw. OrganisationsvertreterInnen zu einem ersten Bündnistreffen ein. Dort wird die Kampagne vorgestellt und ein Hamburger Aktionstag ausgerufen. Man kann mitmachen oder auch nicht, an der aus Hamburger Perspektive am Berliner und Verdener Reißbrett entwickelten Kampagne ist nicht zu diskutieren.“3
Anscheinend wird hier das klassische, autoritär-hierarchische und bevormundende Politikmodell der Linken des 20. Jahrhunderts noch einmal aus dem Mülleimer der Geschichte geholt. Hier hat man sie wieder, die bürokratische Trennung in Führer und Geführte. Die Mobilisierten sind nach Lanings Eindruck „nicht anderes als instrumentalisierte Masse, die man für Bilder und Erfolgsmeldungen braucht, die aber im Vorfeld bitte nicht in Erscheinung treten soll. Politik wird reduziert auf bündnistaktische Verhandlungen, auf Hinterzimmerabsprachen zwischen mehr oder weniger bedeutsamen FunktionsträgerInnen, auf Pressestatements und Medienaufmerksamkeit“.

Als Außenstehende können wir nicht beurteilen, ob sie diese antiemanzipatorische Kampagnenstruktur an anderen Orten ebenso krass äußert, bezweifeln aber, dass es grundsätzlich anders sein wird.
Das ist in der Tat ein grundsätzliches Problem: Solche intern hierarchischen, extern staatsfixierten, auf Appelle an Parteien und Parlamente reduzierten Politikformen haben in der politischen Landschaft von heute eigentlich nichts mehr zu suchen. Sie sind absolute Auslaufmodelle, gerade vor dem Hintergrund von Bewegungen wie den Indignados oder von Occupy, die nicht umsonst absolut parteien- und staatsfern operieren und neue Formen von Bewegungsdemokratie erproben. Neben den klassischen Mechanismen der Versammlungsdemokratie – Entscheidungen nur in Vollversammlungen, SprecherInnen oder Delegierte mit imperativem Mandat, Konsensprinzip usw. – kommen neue Formen demokratischer Diskussionskultur wie das menschliche Mikrophon oder ein System von Handzeichen zum Transparentmachen von Diskussionabläufen zum Einsatz.

 Das scheint uns, bei aller berechtigen inhaltlichen Kritik, die Zukunft sozialer (sozialrevolutionärer) Bewegungen und emanzipatorischer Prozesse zu sein.

FAU Bielefeld, 24.09.2012 

www.fau.org

No comments:

Post a Comment