Die FAU Bielefeld lud am Montag, 23.9.2012 zur PRO- und
CONTRA-Diskussion über die Kampagne „Reichtum besteuern – umfairteilen“
ein. Es kamen ca. 25 Personen aus unterschiedlichsten Gruppen und als
Einzelpersonen.
Das Ganze verlief in einer kommunikativen, friedlichen und respektvollen
Atmosphäre. Einig waren sich wohl alle Anwesenden darin, dass der
Kapitalismus die Wurzel allen Übels ist und eigentlich so schnell wie
möglich weg muss, nur wie geht der Weg dorthin?
Die inhaltlichen Differenzen wurden dagegen um so deutlicher, so das am
Ende einige Fragen standen, mit denen beiden Seiten werden leben müssen.
Dies waren u.a.:
Ist eine „Kampagne“ überhaupt geeignet, die angegebenen Ziele zu
verwirklichen bzw. die Gesellschaft demokratischer, sozial „gerechter“
zu machen?
Können Parteien überhaupt eine emanzipatorische Rolle in sozialen
Bewegungen spielen oder „befrieden“ sie sie nur, um ihnen die radikalen
Spitzen zu nehmen, sie zu verharmlosen, anzupassen an die Mechanismen
der Parteipolitik?
Wozu wird ein Staat mehr Geld ausgeben, wenn er es über die anvisierte
neue Steuer erhält, für Schuldenabbau und soziale Aufgaben oder für
„goldene Kloschüsseln“, sprich unsinnige Großprojekte, Militäreinsätze,
Bankenrettungen etc.?
Ist eine soziale Bewegung als solche zu erkennen und ernst zu nehmen,
wenn sie sich in ihren Forderungen auf den Staat bzw. die Handlungen
staatlicher Organe fixiert?
Welche Rolle spielen Parteien in der Gesellschaft, sind nicht gerade
sie Faktor von zunehmender Entdemokratisierung (Parteimanager_innen,
Expertentum …)?
Kein Staat heißt eben auch kein Sozialstaat, aber was dann bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit usw.?
Geht das, „sozial auch ohne Staat2? Welchen Fragen, Antworten, Ideen,
Konzepte hat ein anti-staatliche, libertäre Linke auf den „Sozialstaat“?
Warum fehlen in der Kampagne Themen wie die Produktion sozialer
Hierarchien und Ungleichheiten, die Frage nach ihren kapitalistischen
Ursachen, die zugunsten eines nebulösen Begriffs von „sozialer
Gerechtigkeit“ aufgegeben werden?
Wie der Titel der Kampagne nahelegt, geht es ihr
gleichermaßen um die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums wie
um soziale Gerechtigkeit. Wir werden im Folgenden zeigen,
– dass das Ziel der Umverteilung mit den geplanten Maßnahmen weder erreicht wird noch überhaupt das eigentliche Ziel ist;
– dass die Kampagne mit sozialer Gerechtigkeit in unserem Verständnis nichts zu tun hat;
– dass das Kampagnenkonzept in seiner Politik- und Staatsfixiertheit ein Auslaufmodell in der Linken ist.
Außerdem bezweifeln wir angesichts der beteiligten Organisationen die
inhaltliche Ernsthaftigkeit des ganzen Unternehmens und unterstellen,
dass es vielmehr in der Bereich der Alibipolitik und Parteienpropaganda
fällt.
Kern der Forderungen ist eine Vermögenssteuer sowie eine einmalige
Vermögensabgabe. Durch hohe Freibeträge soll sichergestellt werden, dass
nur die 1 bis 2% der Reichsten betroffen sind. Die weiterhin geforderte
Steuer auf Finanzmarktgeschäfte kann hier außer Betracht bleiben, da
sie ja mittlerweile selbst von den Regierungsparteien befürwortet wird,
sodass man mit ihr buchstäblich offene Türen einrennt.
Ungeachtet der im Kampagnentitel beschworenen Verteilungsgerechtigkeit
geht aus dem Aufruf und sonstigen Statements eindeutig hervor, dass die
Entlastung der öffentlichen Haushalte, das Stopfen von Schuldenlöchern,
also rein staatspolitische Ziele, die Hauptstoßrichtung darstellen.
Tatsächlich ist eine gewisse Sanierung maroder Staatsfinanzen auch das
einzige Ziel, was sich realistischerweise erreichen ließe.
Dennoch schlagen die Umfairteiler in ihrer „politischen Plattform“
radikale Töne an und behaupten, die von ihnen geplante Vermögensabgabe
würde „einen substanziellen Teil der großen Vermögen zugunsten des
Gemeinwesens umverteil[en]“.1
Dieser Aussage zufolge könnte man fast denken, „Vermögensabgabe“
bedeutet, dass die Reichen zum Finanzamt gebeten werden, um dort ihr
Vermögen abzugeben. Ganz so revoluzzerhaft ist die Sache aber dann doch
nicht gemeint, wie aus dem „Kleingedruckten“ hervorgeht.
An was ist konkret gedacht? Eine Vermögenssteuer mit einem Steuersatz
von 1,5%, die 20 Milliarden Euro jährlich bringen soll, sowie eine
einmalige Vermögensabgabe von 20%, allerdings verteilt auf zehn Jahre,
d.h. 2% pro Jahr, die insgesamt 300 Milliarden in die öffentlichen
Kassen spülen soll.
50 Milliarden zusätzlicher Steuereinnahmen pro Jahr, vielleicht mit
Finanztransaktionssteuer auch 60 – das hört sich viel an, ist jedoch
bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, verglichen mit den Summen,
die bei der Bankenrettung oder der Euro-Krise kursieren. Und trotz des
explosionsartigen Wachstums der Einkommen und Vermögen an der absoluten
Spitze der Reichtumsskala wäre angesichts der bescheidenen Steuersätze
und der kleinen Zahl von Betroffenen die Umverteilungswirkung
zwangsläufig gering.
Wie wenig mit solchen Maßnahmen die bestehende Einkommenskluft
verringert, vermutlich nicht einmal das weitere Auseinanderklaffen
aufgehalten werden kann, verdeutlicht ein kurzes Rechenmodell am
Beispiel der USA, das sich sicherlich mit geringfügig anderen Zahlen
auch auf Deutschland übertragen ließe.
Der Anteil des reichsten 1% der Bevölkerung am Nationaleinkommen (nicht
Vermögen!) verdoppelte sich zwischen 1980 und heute von 8% auf mehr als
16%. Diese Personengruppe zahlt nach neusten Berechnungen
durchschnittlich 35% Steuern. Neben bemerkt: weniger als ein
amerikanischer Durchschnittsverdiener (der Milliardär Warren Buffet
wunderte sich kürzlich, dass er prozentual weniger Steuern zahlt als
seine Sekretärin).
Wollte man bloß zum Stand der Einkommensverteilung von 1980
zurückkehren, müsste man die Steuerlast der Superreichen auf 62,5%
erhöhen. Von solchen – im Grunde noch sehr gemäßigten – Absichten sind
die Umfairteiler weit entfernt. Mit anderen Worten, die
Umverteilungswirkung ihres Konzepts wäre selbst im besten alle Fälle
(die Vermögenssteuern werden eingeführt und erzielen die erhofften
Summen) – gleich null.
Von all dem bleibt natürlich die entscheidende und grundsätzliche Frage
völlig unberührt. Was hat all das mit sozialer Gerechtigkeit oder
Verteilungsgerechtigkeit zu tun? Wenn der Vorstandsvorsitzende eines
Unternehmens das 100-fache des Hausmeisters verdient, ist das sozial
gerecht? Und wenn er das 200-fache verdient, ist das eine schreiende
Ungerechtigkeit, die weder sozial noch menschlich vertretbar ist? Mit
Verlaub, die ganze Denkweise in solchen Kategorien, wie sie vielen
aktuellen Reichtumsdebatten implizit zugrunde liegt, erscheint uns als
völlig absurd.
Uns geht es darum, die Tatsache wieder denkbar und diskutierbar zu
machen, dass der gesellschaftliche Reichtum kollektiv erzeugt wird und
alle das gleiche Anrecht haben, an ihm teilzuhaben, dass folglich seine
kollektive Aneignung das perspektivische Ziel sein muss. Es gibt
keinerlei Rechtfertigung irgendwelcher Einkommens- oder
Verteilungshierarchien. Eine solche Debatte wurde immerhin Anfang der
1970er Jahre auch in reformistischen Gewerkschaften wie der
französischen CFDT oder der italienischen CGIL und CISL geführt.2 Ging
es damals um die Berechtigung von Lohn- und Einkommenshierarchien, so
wird heute, im Rahmen der Commons-Debatte, sozusagen vom anderen Ende
her, über den gleichberechtigten Zugang zu gesellschaftlichen Gütern
diskutiert.
Wir glauben, dass wir damit der Frage der Verteilungsgerechtigkeit auf
theoretischer wie auf praktischer Ebene näher kommen als mit frommen
Appellen an die Politik, doch bitte steuerliche Umverteilungsmaßnahmen
einzuleiten.
Wie soll eine Vermögenssteuer praktisch durchgesetzt werden? Ist der
Steuermechanismus in Zeiten der Globalisierung, d.h. der weltweiten
Kapitalmobilität überhaupt ein zeitgemäßes Umverteilungsinstrument? Die
Initiatoren der Umfairteilen-Kampagne geben sich zuversichtlich: „Alle
Deutschen wären mit ihrem gesamten Weltvermögen steuerpflichtig“. Der
Konjunktiv ist hier allerdings der entscheidende Satzteil, denn um
dergleichen Realität werden zu lassen, sind mehr als bilaterale
Steuerabkommen mit dem einen oder anderen Staat vonnöten.
Als Lösung genannt wird eine EU-weite Fiskalpolitik, die sicherlich
kommen wird, weil sie auch im Interesse der europäischen Macht- und
Geldeliten liegt. Auch der EU-Beitritt der Schweiz und damit ihr Ausfall
als Steueroase ist eine realistische Perspektive. Doch ob es das
vordringliche Ziel einer europäischen Steuerbehörde wäre, den „Reichtum
zu besteuern“, steht auf einem anderen Blatt. Und selbst wenn...
notwendig wäre nichts weniger als eine Weltsteuerpolitik und die ist
beim besten Willen nicht absehbar.
Was uns an der Umfairteilen-Kampagne von vornherein irritierte, war die
starke Parteienpräsenz. Die Grünen und die Linke sind direkt vertreten,
die SPD über mehrere, ihr nahestehende Organisationen. Die Schieflage
dieses Kampagnen-Konstrukts wird noch dadurch verstärkt, dass die
Parteien nicht nur Initiatorinnen, sondern zugleich Adressatinnen des
Bündnisses sind. Sie appellieren also faktisch an sich selber, wenn es
im Aufruf heißt: „Wir fordern Landtage, Bundestag und Parteien auf, sich
unseren Forderungen anzuschließen“.
Der Verdacht, sich es hier in Wahrheit nicht um Inhalte, sondern um
bloße Wahlpropaganda geht, ist somit nicht von der Hand zu weisen. Wenn
wir auf die Forderungen des Umfairteilen-Bündnisses inhaltlich
eingegangen sind, dann nehmen wir sie vermutlich ernster, als sie
eigentlich gemeint sind. Wahrscheinlich haben sie die rein taktische
Funktion eines kleinsten gemeinsamen Nenners, auf den sich die
beteiligten Parteien, ungeachtet ihrer sonstigen Unterschiede, einigen
können, weil er der Absicht von allen dient, sich vor den Wahlen als
Anwältin der kleinen Leute zu inszenieren.
Dazu ist die Thematik einer „Reichensteuer“ aufgrund ihrer
populistischen Dimension besonders gut geeignet. Sie appelliert an das
kleinbürgerliche Ressentiment gegen „die da oben“, die Reichen und
Spekulanten. Und damit kommen wir zur regelrecht gefährlichen Seite von
„Umfairteilen“. Die Kampagne beschwört die nationale
Solidargemeinschaft, der sich die Reichen als Steuerflüchtlinge und
Global Player entziehen. In der „Politischen Plattform“ des Bündnisses
ist mit deutlich nationalistischem Unterton vom „Gestaltungsspielraum
unserer Demokratie und unseres Sozialstaates“ die Rede. Und an anderer
Stelle geht es in eine noch fragwürdigere Richtung, wenn denen, die
ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, gedroht wird:
„Steuerflüchtige müssten dann [d.h. wenn sie nicht zahlen] den deutschen
Pass abgeben“.
Abgesehen davon, dass solche drastischen Drohungen zumeist nichts
anderes als Ausdruck realpolitischer Ohnmacht sind (siehe die oben
angesprochene Durchsetzungsproblematik): Besser (bzw. schlechter) hätte
es die NPD auch nicht formulieren können. Mit dem Unterschied, dass die
NPD den Reichen, die keine Steuern zahlen, als „Volksfeinde“ noch die
MigrantInnen hinzufügt, die „unseren Sozialstaat“ ausnutzen. Der
populistische Diskurs beinhaltet also immer die Gefahr, als Türöffner
für den rassistischen Diskurs der Rechtsradikalen zu fungieren.
Noch ein paar Worte zum Demokratieverständnis der Kampagne. Uns
schwante, wie erwähnt, angesichts der Parteiendominanz im Bündnis schon
Böses, nämlich dass sich ParteienvertreterInnen die Schlüsselpositionen
sichern werden, um die Kampagne im Sinne ihrer Organisationsinteressen
zu steuern. Diese Befürchtung wird offenbar durch die Realität noch
übertroffen. So beschreibt Heiko Laning im aktuellen „ak“ die Vorgänge
rund um Umfairteilen aus Hamburger Sicht:
„Mitte Juli reiten externe Campaigner von campact in Hamburg ein und
laden ausgewählte Organisationen bzw. OrganisationsvertreterInnen zu
einem ersten Bündnistreffen ein. Dort wird die Kampagne vorgestellt und
ein Hamburger Aktionstag ausgerufen. Man kann mitmachen oder auch nicht,
an der aus Hamburger Perspektive am Berliner und Verdener Reißbrett
entwickelten Kampagne ist nicht zu diskutieren.“3
Anscheinend wird hier das klassische, autoritär-hierarchische und
bevormundende Politikmodell der Linken des 20. Jahrhunderts noch einmal
aus dem Mülleimer der Geschichte geholt. Hier hat man sie wieder, die
bürokratische Trennung in Führer und Geführte. Die Mobilisierten sind
nach Lanings Eindruck „nicht anderes als instrumentalisierte Masse, die
man für Bilder und Erfolgsmeldungen braucht, die aber im Vorfeld bitte
nicht in Erscheinung treten soll. Politik wird reduziert auf
bündnistaktische Verhandlungen, auf Hinterzimmerabsprachen zwischen mehr
oder weniger bedeutsamen FunktionsträgerInnen, auf Pressestatements und
Medienaufmerksamkeit“.
Als Außenstehende können wir nicht beurteilen, ob sie diese
antiemanzipatorische Kampagnenstruktur an anderen Orten ebenso krass
äußert, bezweifeln aber, dass es grundsätzlich anders sein wird.
Das ist in der Tat ein grundsätzliches Problem: Solche intern
hierarchischen, extern staatsfixierten, auf Appelle an Parteien und
Parlamente reduzierten Politikformen haben in der politischen Landschaft
von heute eigentlich nichts mehr zu suchen. Sie sind absolute
Auslaufmodelle, gerade vor dem Hintergrund von Bewegungen wie den
Indignados oder von Occupy, die nicht umsonst absolut parteien- und
staatsfern operieren und neue Formen von Bewegungsdemokratie erproben.
Neben den klassischen Mechanismen der Versammlungsdemokratie –
Entscheidungen nur in Vollversammlungen, SprecherInnen oder Delegierte
mit imperativem Mandat, Konsensprinzip usw. – kommen neue Formen
demokratischer Diskussionskultur wie das menschliche Mikrophon oder ein
System von Handzeichen zum Transparentmachen von Diskussionabläufen zum
Einsatz.
Das scheint uns, bei aller berechtigen inhaltlichen Kritik, die Zukunft
sozialer (sozialrevolutionärer) Bewegungen und emanzipatorischer
Prozesse zu sein.
FAU Bielefeld, 24.09.2012
www.fau.org
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