Gekündigter Beschäftigter eines Friedrichshainer Spätkaufs
streitet für angemessene Lohnnachzahlung. Ladeninhaber geht gegen
Berichterstattung in linken Medien vor (Update: 13. Okt. 2011)
Kundgebung:
"Gegen Ausbeutung und Selbstausbeutung in Spätis!"
Dienstag, 18.Oktober 2011
18 Uhr
Berlin-Friedrichshain
Ecke Samariterstr. / Frankfurter Allee
Der Spätkauf gehört wie selbstverständlich zur Berliner Lebenskultur.
Dass die Arbeitsbedingungen in diesen Läden in der Regel äußerst prekär
sind, ist in der Hauptstadt der Prekarität scheinbar nur konsequent.
Dabei handelt es sich für die dort Beschäftigten oftmals um einen
Fluchtpunkt aus der Arbeitslosigkeit, eine Möglichkeit, wenigstens ein
bisschen zum ALG II dazu zu verdienen oder die karge Rente aufzustocken.
Nicht selten gilt das auch für die BesitzerInnen, die mit einem eigenen
Laden aus der Arbeitslosigkeit fliehen wollen. Immerhin ist hier der
Geschäftseinstieg einfach, verlangt er doch nicht so hohe Investitionen.
Insbesondere MigrantInnen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben,
sehen darin eine Chance. Die Folge ist eine extrem hohe
Wettbewerbsintensität, die nur durch schonungslose Selbstausbeutung oder
die Verwendung billigster Arbeitskräfte kompensiert werden kann. Nicht
wenige „Spätis“ sind so von mithelfenden Familienangehörigen abhängig.
Kennzeichnend für die „Späti-Branche“ ist, dass niemand
so richtig auf die Arbeitsbedingungen zu achten scheint. Da es im
Zentrum Berlins an jeder zweiten Ecke einen Späti gibt, ist der
Konkurrenzdruck groß. Die Preise und Löhne sind, bei gleichzeitig wenig
attraktiven Arbeitszeiten, sehr niedrig. Doch gerade für Menschen, die
selber in prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und spät, mit wenig Geld
in der Tasche, nach Hause kommen, bietet der Späti auch noch zu später
Stunde die Möglichkeit, sich einige Dinge zu besorgen, die das Leben
angenehmer machen. Der in Berlin so anschaulich ausgeprägte Kreislauf
der Prekarität schließt sich an dieser Stelle.
Manchmal wird er aber durchbrochen, werden die normalerweise so gut
verdeckten Widersprüche sichtbar. Dies passiert gerade zum Beispiel in
Friedrichshain, wo sich Daniel R.*, ein ehemaliger Beschäftigter des
Spätkaufs „Mumbai Corner“ in der Samariterstraße, zu wehren begonnen
hat. Mehrere Jahre habe er dort gearbeitet, um sein ALG II aufzubessern.
Doch statt auf die vereinbarten 20 Stunden im Monat, sei er auf volle
60 Stunden die Woche und somit auf einen Stundenlohn von unter einem
Euro gekommen, wie er schildert. Zunächst sei er noch ganz froh gewesen,
sich im Rahmen einer recht angenehmen Arbeitsatmosphäre etwas dazu
verdienen zu können. Doch im Laufe der Zeit habe ihn der Chef immer
geringschätziger behandelt, berichtet er. Als er schließlich versuchte,
beim Chef eine größere Wertschätzung und mehr Respekt für seine Arbeit
und Person zu bewirken, sei ihm gekündigt worden, so Daniel R.
Daniel R. hat indessen Prozesskostenhilfe beantragt und mithilfe seines
Anwaltes Klaus Stähle Klage beim Berliner Arbeitsgericht wegen
Sittenwidrigkeit eingereicht. Er fordert eine Lohnnachzahlung zum
branchenüblichen Tarif im Einzelhandel. Dabei wird ihn die FAU Berlin
unterstützen und den Konflikt öffentlich begleiten. Unter anderem mit
einer Kundgebung soll das Thema, das so viele von uns betrifft, sei es
als Kunde oder als Arbeiterin, in die Öffentlichkeit getragen und zur
Diskussion und Gegenwehr in weiteren Fällen animiert werden.
Dies alleine wird freilich noch nicht ausreichen. Perspektivisch muss
der Kreislauf der prekären Ökonomien insgesamt durchbrochen werden. Denn
nur sehr wenige sind in dessen Rahmen die Gewinner, und sehr viele
verlieren ständig mehr an Geld, Gesundheit und Selbstbestimmung. Ganz
davon abgesehen, dass die extrem prekären Zustände in den den
Spätverkäufen sich nachhaltig negativ auch auf die Arbeitsbedingungen im
Einzelhandel generell auswirken. Das verstärkte Einfordern unserer
Grundrechte vor den Arbeitsgerichten, auch in prekären Sektoren, kann
nur ein erster Schritt sein.
AG Spätkauf der FAU Berlin
* Name geändert
Beschäftigte in Berliner Späti-Läden, die mit ihrer Situation
unzufrieden und an einem Austausch interessiert sind, können sich gerne
bei der FAU Berlin melden. Kontakt: faub-spaeti(a)fau.org.
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