8.22.2011

Über die sozialen und ökonomischen Hintergründe der Riots in Großbritannien

Wie sie sicherlich aus der Medienberichterstattung mitbekommen haben, gab es in ganz Großbritannien während der letzten Wochen Ausschreitungen. Dass es dazu jetzt gekommen ist, überrascht kaum, lebt doch ein großer Teil der britischen Arbeiterklasse in der Verelendung und im sozialen Abseits. Viele Kommunen haben sich nie von der Schließung der traditionellen Industrien erholt, dem Kohlebergbau oder der Stahlherstellung.

Die negative Entwicklung begann in den 70er und 80er Jahren, als Großbritanniens industriellen Zentren dezimiert worden sind. Als das Land dann Anfang 1980 Millionen an Arbeitslosen zu verzeichnen hatte, gab es schon einmal Unruhen. Die Riots fanden damals vor allem in den Ortskernen und gemeindeeigenen Wohnungssiedlungen statt; also Gegenden, in denen hauptsächlich Immigranten und die weiße Arbeiterklasse leben. Die Medien versuchten damals die Ausschreitungen als „Rassenkrawalle“ zu denunzieren, da jedoch sehr viele ArbeiterInnen aus den außerhalb gelegenen Wohnsiedlungen daran teilnahmen, ließ sich diese Behauptung nicht aufrecht erhalten.

Obwohl sich Großbritannien bis zu einem gewissen Teil von den Verlusten an herstellenden Industrien erholte, bedeutete der Kollaps der ArbeiterInnenorganisationen, dass der gesellschaftliche Reichtum sich zunehmend an der Spitze der Gesellschaft konzentrierte. Großbritannien ist heute eine genauso ungleiche Gesellschaft, wie damals im 18. Jahrhundert. Die Situation in den Innenstädten und in den gemeindeeigenen Wohnungssiedlungen ist in vieler Hinsicht noch schlechter als 1980; der Reichtum ist innerhalb der ersten 10% der Bevölkerung verteilt; am unteren Ende sind rund 20% der Menschen von Armut betroffen. Die Arbeitslosigkeit ist insgesamt sehr hoch, besonders in den Innenstädten und Gemeindesiedlungen. Es gibt eine hohe Kriminalität in diesen Gegenden, Drogen und damit verbundene Verbrechen erfreuen sich dort einer sehr großen Beliebtheit. Die Sterberate ist hier viel höher als in den reicheren Gegenden des Landes. Das soziale Abseits ist hier sehr hoch und das Leben ist im Allgemeinen sehr harsch, mit einem großen Anteil Menschen, die täglich um ihr Überleben kämpfen. Daher war es nicht überraschend das sich die Ausschreitungen in den 80ern dort ereigneten.

Die durch den Abbau der produzierenden Industrien entstandene Lücke, wurde teilweise vom Dienstleistungssektor und dem Staat aufgefüllt. Dies sind allerdings mehrheitliche schlecht bezahlte oder Zeitarbeitsjobs. Oftmals sind die Gehälter dort so niedrig, dass sie vom staatlichen Wohlfahrtssystem aufgestockt werden müssen. Damit sind selbst die Beschäftigten abhängig vom Staat. Von den momentanen Kürzungen in Großbritannien sind vor allem staatliche Beschäftigte betroffen. Hunderttausende an Jobs gehen verloren. Es sind wieder die armen Gegenden, die davon betroffen sind, solche Gegenden also, in denen die ArbeiterInnen aus den ehemaligen produzierenden Industrien jetzt mehrheitlich Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungs- oder staatlichen Sektor haben.

Das Leben in den Innenstädten oder den Gemeindesiedlungen ist für junge Leute sehr hart. Wie bei jeder Rezession, stellen die ArbeitnehmerInnen als erstes keine neuen ArbeiterInnen ein, so dass SchulabgängerInnen keinen Ausbildungsplatz finden. Offiziell gibt es in Großbritannien ungefähr eine Millionen arbeitslose Jugendliche, aber die inoffiziellen Zahlen sind höher. Die Regierung und die Medien haben diese soziale Gruppe in den letzten Jahre als „Faulpelze“ denunziert, die keine Lust auf Arbeit haben und lieber Geld vom Staat erhalten. Die Hilfen vom Staat wurden ebenso gekürzt und durch einen aufgeblähten bürokratischen Apparat, der ständig gängelt und überprüft, wird es immer schwerer überhaupt an solche Hilfen zu kommen.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass sich Wut unter den Menschen, besonders den Jüngeren, breit gemacht hat. Gleichzeitig finden sich junge ArbeiterInnen dem Spott durch die Medien und Politiker ausgesetzt, die sie als dumm und gewalttätig beleidigen. Dabei entstand das neue Schimpfwort „chav“, dass heute allerorten zur Beschreibung junger ArbeiterInnen herhalten muss. Wie tief der Hass bei den Jugendlichen sitzt, lässt sich daran ermessen, wie schnell sich die Riots verbreiteten. Der Hass der AußenseiterInnen und VerliererInnen der Gesellschaft ist explodiert.

Das Hauptproblem besteht darin, dass die Wut der Jugendlichen ziellos ist. Obwohl sich ein Großteil der Ausschreitungen gegen größere Geschäfte richtete, waren auch Läden und Wohnungen der Arbeiterklasse davon betroffen, wodurch Angst unter der Bevölkerung entstand. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Wut in Zukunft zielgerichteter kanalisiert.

Die reformistischen Gewerkschaften in Großbritannien haben in den Gemeinden mit einem hohen Anteil an ArbeiterInnen nie viel organisiert, so dass die Idee einer Gewerkschaft unter den Jugendlichen nicht verbreitet ist. Auf dem Weg zu einer funktionierenden Gewerkschaft hat sich die Solidarity Federation stets dafür eingesetzt, entsprechend den anarchosyndikalistischen Idealen, einerseits am Arbeitsplatz und andererseits in den Gemeinden vor Ort aktiv zu sein.

Während der letzten Wochen hat die Solidarity Federation durch verschiedene Verlautbarungen versucht die wahren Gründe der Gewalt hervorzuheben. Einige unserer Anmerkungen wurden von den nationalen Medien aufgegriffen, so dass infolge dessen unsere Homepage mehrmals wegen Überlastung den Geist aufgab. Die Leute haben nach Informationen gesucht. Wir werden in Zukunft die Menschen in ArbeiterInnengegenden mittels Flugblätter aufklären.

Doch das Ziel der Solidarity Federation ist eine ständige Präsenz in Gegenden mit hohem Anteil an ArbeiterInnen. Unser Ziel ist es ein täglicher Bestandteil der antikapitalistischen Kämpfe zu werden.

SF-IWA International Secretary

Translated by FAU-International Commission

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