5.14.2011

Ein Gesundheitsminister und die »Kinder der Falschen«

Quiz-Show-Junkies hätten auf die Frage, wem das Zitat „In Deutschland bekommen die Falschen die Kinder. Es ist falsch, dass in diesem Land nur die sozial Schwachen die Kinder kriegen“, sicherlich sofort eine passende Antwort parat. „Antwort A – Thilo Sarrazin selbstverständlich!“. Leider falsch! Korrekt wäre gewesen: „Antwort D - Daniel Bahr“. Nie gehört den Namen? Das könnte sich für die Restlaufzeit der aktuellen Bundesregierung und derjenigen einer Partei namens FDP vielleicht noch ändern. Eben jener Daniel Bahr ist seit Donnerstag dieser Woche Bundesgesundheitsminister.

Die eingangs zitierten Erkenntnisse über das Vermehrungsverhalten in Deutschland, sonderte der Münsteraner Liberalo-Yuppie Bahr im Jahr 2005 gegenüber der BILD-Zeitung ab. In diesem Interview empfahl sich Daniel Bahr eigentlich eher als künftiger Bildungs- denn als Gesundheitsminister. Er wusste nämlich auch mitzuteilen: „würden mehr Akademiker Kinder bekommen, ständen wir auch in PISA besser da“. Nun gut, Bildung fängt bekannter Maßen mit der Zeugung an und die fällt nun mal in die Kompetenz des Gesundheits-Ministeriums. Also keine völlige Fehlbesetzung der Mann.

Es ist leider nicht so, dass die eugenischen Äußerungen von Bahr über die Kinder der Falschen die wirkungslose Lachnummer eines politischen Hinterbänklers gewesen wären. Zwar fühlte sich Bahr von der BILD seinerzeit falsch verstanden, andere aber hatten in durchaus richtig interpretiert und in der Folge brach eine Debatte unter Oberschichts-Politikern und beigeordneten Sozio- und Philosophen los, die in Sarrazins Hasstiraden gegen die „Kopftuchmädchen“ ihren letztlich konsequenten Ausdruck fand.

Aber es ging nicht nur um die Lufthoheit über Stammtischen, es ging auch um Bevölkerungspolitik als Mittel im Klassenkampf von Oben. Im Zuge der Debatte wurde im Jahr 2008 das bis dahin gültige Erziehungsgeld, durch das sog. „Elterngeld“ ersetzt. Erziehungsgeld gab es in den ersten sechs Monaten bei einem Familieneinkommen unter € 30.000,- pro Jahr und danach unter € 16.500,- pro Jahr. Das neue Elterngeld erhalten hingegen auch Wohlhabende und Reiche, dafür wird es den BezieherInnen von Hartz IV und anderen sozialen Transferleistungen in voller Höhe angerechnet. Die Intention ist klar. Die „gefährlichen Klassen“ sollen dafür bestraft werden, Kinder in die Welt zu setzen. Gutverdiener, die nicht auf die finanzielle Unterstützung durch die Gesellschaft angewiesen sind, erhalten jetzt ein Extraeinkommen als Aussicht auf die häufigere und die ungeschützte Ingangssetzung ihrer Geschlechtsorgane und damit die künftige Inwertsetzung der „richtigen“ Kinder.

Derjenigen, die sich ein wenig mit Eugenik im Allgemeinen und Bevölkerungspolitik in Deutschland im Besonderen beschäftigt, mag sich der eine oder andere historische Vergleich geradezu aufdrängen.

Das sog. „Erbgesundheitsgetz“ der Nazis, auf dessen Basis massenweise „Hilfsschüler“ sterilisiert wurden, wurde bei seiner Einführung im Juli 1933 u.a. wie folgt begründet:

„Während die erbgesunden Familien größtenteils zum Ein- und Keinkindersystem übergegangen sind, pflanzen sich unzählige Minderwertige und erblich belastete hemmungslos fort, deren kranker und asozialer Nachwuchs der Gesamtheit zur Last fällt. Während die gesunde deutsche Familie, besonders der gebildeten Schichten, nur etwa zwei Kinder im Durchschnitt hat, weisen Schwachsinnige und andere erblich Minderwertige durchschnittlich Geburtenziffern von drei bis vier Kindern pro Ehe auf. Bei einem solchen Verhältnis ändert sich die Zusammensetzung eines Volkes von Generation zu Generation, so daß in etwa drei Geschlechterfolgen die wertvolle Schicht von der minderwertigen völlig überwuchert ist. […] Dazu kommt, daß für Geistesschwache, Hilfsschüler, Geisteskranke und Asoziale jährlich Millionenwerte verbraucht werden, die den gesunden, noch kinderfrohen Familien durch Steuern aller Art entzogen werden.“

Man glätte ein wenig die Diktion, tausche einige Begriffe gegen zeitgemäßere aus und schon wird die Diskussionsgrundlage kenntlich, auf deren Basis sich die sozialeugenischen Ausfälle der Bahrs, Sarrazins, Sloterdijks und Heinsohns entwickeln.

Damals wie heute ist der gesellschaftliche Hintergrund für den bevölkerungspolitischen Angriff der Bourgeoisie auf die „gefährlichen Klassen“ übrigens eine tiefgreifende und globale Krise des kapitalistischen Systems, in der das Bürgertum und seine AkademikerInnen um die eigene soziale Deklassierung fürchten müssen. Es ist übrigens nicht so, als ob das „Erbgesundheitsgetz“ eine Erfindung der Nazis gewesen sei. Sie haben die Vorlage verschärft, die „freiwillige“ durch die Zwangssterilisation ersetzt und diese an 400.000 Menschen brutal exekutiert. Das Gerüst des Gesetzentwurfes hingegen stammte nicht von ihnen sondern wurde von der Vorgängerregierung in Auftrag gegeben.

Kommentar - 14.05.11 von Gianni Med

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