4.30.2011

Bericht vom Workers' Memorial Day 2011 in Kiel

Erstmals wurde der „Workers Memorial Day“ (WMD) auch in Kiel begangen. Als einzige Gewerkschaft in Kiel, thematisierte die FAU Kiel am Donnerstag diesen Tag und rief zu Arbeitsverweigerung und Schwänzen auf. In Flugblättern wurden spezifische Arbeitsbereiche in Kiel als gesundheitsgefährdende Tätigkeiten geschildert und zudem ein „Offener Brief“ an den Arbeitgeberverband des Gastronomie- und Hotelgewerbes DeHoGa veröffentlicht. In diesem wurde Widerstand der in dieser Branche organisierten FAU Kiel Mitglieder gegen die dortigen krankmachenden Verhältnisse angekündigt.

Am 28.4. wird international der „Workers' Memorial Day“ begangen: Unter dem Motto "Remember the dead, fight for the living!" werden totbringende wie krankmachende Arbeitsverhältnisse als triste Realität von "Lohn"-arbeit thematisiert und öffentlich gemacht (siehe auch die Indymedia Veröffentlichung der FAU Berlin). Die Kieler FAU rief anlässlich dieses Tages zur kollektiven Arbeitsverweigerung (einschließlich dem Schwänzen von Schule, Maßnahme oder Uni) in Form des "Blaumacherfrühstück gegen Arbeitshetze und unerträgliche Vorgesetzte" auf, und zwar im Rahmen des DGB kritischen Erste Mai Bündnisses "Gerecht geht GANZ anders" . Auf diese Weise wurde sich auch der Erste Mai, dieses Jahr mal wieder auf einem Wochenende, als freier Tag ein wenig zurückgeholt.

Im Anschluss zogen einige FAU Kiel Mitglieder, begleitet von einigen Sympathisanten von der Alten Meierei, in der das Blaumacherfrühstück stattgefunden hatte, in Richtung Innenstadt. Ziel war das "Haus der Wirtschaft" der Industrie- und Handelskammer, um den dort organisierten Unternehmen das Flugblatt zum WMD 2011 zu überreichen. Laut Pförtnerin wird dieses nun an die Pressestelle weitergeleitet. Das Flugblatt formuliert krankmachende Arbeitsbedingungen als unmittelbaren Ausdruck des Sinn und Zwecks von Lohnarbeit: nämlich der Profitherstellung, im Zweifelsfalle unzweifelhaft immer um jeden Preis. So wird in Anspielung auf die Tätigkeit des IHK auf den Wert des "Wachstums" einer kapitalistisch organisierten Ökonomie eingegangen. Desweiteren wurde nochmal an den Arbeitskampf der Tabel-Beschäftigten in der Druckerei der Kieler Nachrichten erinnert sowie auf die Situation am UKSH eingegangen. Hier wurde die Verbindung zum Arbeitskampf der schwedischen SAC im Uniklinikum Lund gezogen. Schließlich thematisierte das Flugblatt die untragbaren Verhältnisse in der Kieler Gastronomie.

Auf dem Weg zum "Haus der Wirtschaft" in der Bergstraße wurde neben dem Flugblatt auch der "Offene Brief der Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union Kiel (FAU Kiel) an den DeHoGa Kreisverband Kiel e.V." verteilt. Dieser ist Ausdruck der unmittelbaren Betroffenheit von in der FAU Kiel organisierten Beschäftigten der Gastronomie und Hotellerie, und kündigt weiteren Widerstand gegen die Arbeitsverhältnisse in dieser Branche an.

Im Anschluss nun die Texte des Flugblattes und des "Offenen Briefes":

"Offener Brief"
Offener Brief der Freien Arbeiter- und Arbeiterinnen Union Kiel (FAU Kiel) an den DeHoGa Kreisverband Kiel e.V.


Sehr geehrte Damen und Herren,

Diesen Offenen Brief lassen wir Ihnen sowie der Öffentlichkeit anlässlich des Workers' Memorial Day am 28.4. zukommen – dem Gedenktag für die Opfer von Arbeitsunfällen, krankmachenden Arbeitsbedingungen und die durch Lohnarbeit verursachten Schädigungen für Leib und Seele.

Wir wenden uns hiermit an Sie – die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber der Gastronomie und des Hotelgewerbes – weil unsere Mitglieder als Beschäftigte in Ihrer Branche von krankmachenden oder die Gesundheit gefährdenden Zuständen betroffen sind. Schon allein die übliche Handhabe, dass den Beschäftigten der ihnen zustehende schriftliche Arbeitsvertrag, in dem die Arbeitsverhältnisse klar geregelt werden, nicht ausgestellt wird, zeigt eine gezielte Willkür, die in vielen der bei Ihnen organisierten Betriebe Methode zu sein scheint. Denn in allen jenen Betrieben im Raum Kiel – ob Hotellerie oder Gastronomie – in denen wir Mitglieder haben, sind schriftliche Arbeitsverträge eine Rarität; für Aushilfen, befristet oder geringfügig Beschäftigte sind sie schlichtweg nicht existent. Kaum überraschend, sind es dann auch gerade diese Arbeiter und Arbeiterinnen sowie externe Kräfte wie z.B. LeiharbeiterInnen, die am stärksten unter der Organisation von Arbeit in den Mitgliedsbetrieben Ihres Verbandes zu leiden haben.

Doch auch ganz allgemein lässt sich feststellen: Der Profit der Unternehmen, die zum DeHoGa Kreisverband Kiel e.V. zusammengeschlossen sind, wird im Zweifelsfall immer zu Lasten der körperlichen und geistigen Unversehrtheit der Beschäftigten hergestellt werden. Aufgrund des selbstherrlichen Einteilens der Arbeitsschichten durch die Geschäftsleitungen kommt es viel zu häufig nicht zu den dringend notwendigen Ruhepausen. Dass eine Frühschicht auf eine Spätschicht folgt, mag für das Klientel Ihres Verbandes eine Selbstverständlichkeit sein, für den menschlichen Körper kann derartige Schichtarbeit irgendwann zu ernsthaften Problemen führen. Selbiges gilt auch während der Arbeitszeiten: Anstatt Pausen klar zu regeln, werden den Beschäftigten sehr oft nur auf dem Papier Pausen zugestanden, in die „nach eigenem Ermessen“ gegangen wird – sodass diese im Endeffekt dann nur allzu schnell unter dem Druck der Arbeitslast in eine extrem kurze Zigarettenpause umgesetzt werden.

Überhaupt kommt der Profit Ihrer Verbandsmitglieder in erster Linie dadurch zustande, dass wenige Beschäftigte eine immer größere Stückzahl von Essen, Tischen, Zimmern, Betten oder Gästen abdecken – für die dem Profit zuträglichen Relationen werden die Mitglieder Ihres Verbandes notfalls immer noch mit Entlassungen sorgen. Der mit diesem „Geschäftsmodell“ einhergehende Stress für die Beschäftigten ist ein doppelter: Hier die ungemeine Verdichtung der Arbeitszeit, der Druck, immer mehr in weniger Zeit schaffen zu müssen, und dort die permanente Drohung der Entlassung. Die Geschäftsleitungen Ihrer Mitgliedsbetriebe wissen dabei genau, dass Arbeitsämter und so genannte „Personaldienstleister“ – also Leih- und Zeitarbeitsfirmen – immer potentiellen Ersatz für etwaig unpässliche MitarbeiterInnen bereithalten. Jener Ersatz wird zum Teil genötigt, extrem große Distanzen bis zu ihrem Arbeitsplatz zurückzulegen. Vor diesem Hintergrund melden sich Beschäftigte dann auch oftmals trotz akuter gesundheitlicher Probleme lieber nicht krank oder ertragen jede neue Zumutung ohne Murren. Schließlich wird der Konkurrenzdruck auch an die Belegschaft weitergegeben – die Berichte über Mobbing, Denunziationen und Diffamierungen in den Betrieben sind vielfältig.

Physischer Stress, psychischer Druck und körperliche Extremsituationen wie z.B. permanente Nachtschichten gehören zum Alltag in einer Branche, in der beständig mit scharfen Messern, heißen Herdplatten, Glasflaschen und vielen anderen gefährlichen Gegenständen umgegangen wird. Verletzungen sind hier vorprogrammiert. Doch auch jenseits von Unfällen kommt es häufig zu starken körperlichen Beschwerden, wie etwa Bandscheibenvorfällen oder gereizten Handgelenken, wenn in aller Eile die Einrichtung umgebaut, ein Seminarraum fertig gestellt, Getränkekisten herbeigeschafft werden müssen. Die Grenze zwischen physischer und psychischer Belastung ist ferner auch kaum noch zu erkennen: Burnout, Herzrhythmusstörungen, Schlaflosigkeit, Angstzustände – diese Phänomene sind beileibe keine Seltenheit unter den Beschäftigten in Ihrer Branche. Für die Geschäftsleitungen der Mitgliedsbetriebe Ihres Verbandes – so die Erfahrung unserer Mitglieder – sind derartige Erkrankungen der Beschäftigten meist lediglich ein organisatorisches Ärgernis.

Ohne weiteres wäre es uns möglich, diese Auflistung unhaltbarer Zustände in den Betrieben Ihres Verbandes fortzusetzen. In erster Linie aber beschränken wir uns auf die Zustände, mit denen unsere Mitglieder tagtäglich an ihrem Arbeitsplatz konfrontiert sind.
Diese Zumutungen werden wir nicht länger hinnehmen. Davon sind Sie, als Dachverband der Gastronomie- und Hotelleriebranche in Kiel, hiermit in Kenntnis gesetzt.




FLUGBLATT
28. April: Workers' Memorial Day!
Sterben im Sekundentakt


Alle 15 Sekunden stirbt auf der Welt ein Mensch an den Folgen der Ausbeutung durch Arbeit, sei es aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen, giftigen Werkstoffen oder Berufskrankheiten: Mehr als 2,3 Millionen Todesopfer pro Jahr. Die Internationale Arbeitsorganisation der UNO schätzt: Vier von fünf tödlichen Arbeitsunfällen sind vermeidbar. In der Bundesrepublik reißen Arbeits- und Wegeunfälle und Berufskrankheiten zehn Beschäftigte aus dem Leben – jeden Tag. Und jedes Jahr werden 1,25 Millionen KollegInnen auf Arbeit oder auf dem Weg dahin verletzt. Noch weit mehr Menschen sind heute von unsichtbaren Gesundheitsrisiken bedroht: Stress, Leistungsdruck, Schichtarbeit und Angst vor Arbeitslosigkeit, um nur einige Erscheinungen der „modernen Arbeitswelt“ zu nennen, machen krank. Burnout und psychische Schäden bis hin zum Suizid sind an der Tagesordnung.

Remember the Dead - Fight for the Living!

Der Workers' Memorial Day wurde erstmals 1984 in Kanada begangen. Ursprünglich allein der Trauer und dem Andenken an verstorbene KollegInnen gewidmet, veränderte der 28. April in der Folge schon bald seinen Charakter. Die organisationsübergreifende Losung lautet seither: »Der Toten gedenken und für die Lebenden kämpfen!«. Seit nun mehr als 20 Jahren gehen GewerkschafterInnen in aller Welt unter diesem Motto auf die Straße. Am 28. April 2009 nahmen mehr als 14 Millionen ArbeiterInnen an Aktionen zum Workers’ Memorial Day teil.

„Wirtschaftswachstum“: Unternehmensprofit um jeden Preis

Dieses Jahr begehen wir den Workers Memorial Day auch erstmals in Kiel. Denn schwere Arbeitsunfälle, körperlicher Verschleiß und psychische Erkrankungen sind auch in dieser Stadt beileibe keine Randerscheinungen der hiesigen Arbeitsverhältnisse. Das „Haus der Wirtschaft“ der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Kiel ist der Ort, an dem wir exemplarisch auf die unhaltbaren Zustände krankmachender Arbeit hinweisen wollen. Denn die IHK setzt sich vor allem für eines ein: Nämlich dem Herstellen von „Wirtschaftswachstum“, also der Vermehrung der Gewinne der Unternehmen auch und gerade in der Krise – und das kann, wie jeder und jedem klar sein dürfte, nur zu lasten der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gehen. Gerade in Krisenzeiten wächst der Druck auf die Menschen, jedes noch so prekäres Arbeitsverhältnis anzunehmen, und vor allem nicht durch Aufbegehren oder Erkrankungen den eigenen Arbeitsplatz zu gefährden. Folgerichtig sinken auch in Schleswig-Holstein die Krankmeldungen bei der Arbeit – jedoch nicht, weil sich die Arbeitsverhältnisse verbessert hätten, eher das Gegenteil ist der Fall. Die IHK aber betreibt Lobbypolitik für noch lockerere Arbeitsbestimmungen, dreht den Spieß immer wieder um und macht ein nicht ausreichendes „Qualifikationsniveau“ von ArbeitnehmerInnen für die meisten Probleme als Ursache aus. Solch eine krasse Verdrehung der Tatsachen in der Arbeitswelt sowie die radikale Interessensvertretung der Unternehmen, getarnt als „Dienst an der Allgemeinheit“, wollen wir weder heute noch in Zukunft unbeantwortet lassen.

„Markterkundung“ und Privatinvestitionen im UKSH – gut für den Landeshaushalt und Unternehmensgewinne, schlecht für die Gesundheit der Beschäftigten

Derzeit kämpft die Leitung des größten Arbeitgebers Schleswig-Holsteins, dem Uniklinikum in Kiel und Lübeck, gegen streikwillige Beschäftigte. Was eine schleichende Privatisierung für diese Menschen bedeuten wird, ist nur allzu leicht absehbar. Pflege- und vor allem Reinigungstätigkeiten werden „outgesourced“ und dann von Leiharbeits- und Zeitarbeitsunternehmen übernommen. Dagegen haben vor wenigen Monaten die schwedischen SyndikalistInnen der SAC mobil gemacht: Im privatisierten Uniklinikum Lund organisierten sich Putzkräfte, die bei einer Leiharbeitsfirma angestellt waren, gegen die unhaltbaren Zustände auf ihrer Arbeit. Genau 36 Sekunden wurde ihnen laut Arbeitsplan zum reinigen einer Toilette gegeben – was eine Gefährdung sowohl der Beschäftigten als auch der Patientinnen aufgrund der hygienischen Bedingungen bedeutete. Aber auch der Umgang mit ätzenden Putzmitteln, das Tragen der ganzen Ausrüstung über die Treppen und Flure des Krankenhauses, Schikanen und psychischer Stress waren eine unmittelbare Bedrohung für die Gesundheit der Putzkräfte. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Betroffenen war es hier möglich, Widerstand zu leisten. Ein gutes Beispiel auch für die abzuwartende Entwicklung am UKSH.

Wer miese Arbeitsbedingungen nicht hinnimmt, fliegt: „Beschäftigungspolitik“ bei den Kieler Nachrichten

Auf was für krankmachende Arbeitsbedingungen die KN setzten, haben vor einiger Zeit die in der KN-Druckerei Beschäftigten der Leiharbeitsfirma Tabel deutlich gemacht. Sitzgelegenheiten wurden den Angestellten nicht zugestanden und so nicht nur Ermüdung, sondern auch etwa Rückenprobleme ohne Weiteres in Kauf genommen. Bis zu 18 Stunden ohne Pause wurde hier teilweise gearbeitet - ohne geregelte Pausen, und mit einer anschließenden „Freizeit“ von gerade mal 6 Stunden! Es wurde sogar ohne Atemschutzmasken trotz unzumutbarer Staubbelastung gearbeitet. Selbst trinken durften die MitarbeiterInnen nicht, weshalb eine ältere Frau während einer 14 Stunden-Schicht zusammenbrach. Erst ein von den Beschäftigten erkämpfter Betriebsrat gebot solchen Auswüchsen Einhalt – und postwendend kündigten die Kieler Nachrichten allen LeiharbeiterInnen in der Druckerei.

Krankmachende Arbeitsverhältnisse in der Kieler Gastronomie

Die Gastronomie ist ein Paradebeispiel für einen gesamten Wirtschaftszweig, in dem Beschäftigte den Unternehmensgewinn viel zu häufig mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen. Willkürlich eingeteilte Arbeitsschichten mit viel zu kurzen Ruhepausen wirken sich sowohl physisch als auch psychisch auf die Verfassung der betroffenen Menschen aus. Kombiniert mit dem allgegenwärtigen Stress, den die Arbeitsorganisation in der Gastronomie in sich birgt, sind sowohl Erkrankungen wie auch Arbeitsunfälle vorprogrammiert. Hinzukommt ein immenser Druck, ständig zu funktionieren – das Gefühl, der Willkür der Geschäftsleitung ausgeliefert zu sein, kennen in der Gastronomie Beschäftigte nur zu gut. Uns liegen Berichte über solche Zustände und deren Auswirkungen hier in Kiel vor – von Burnout über Herzrhytmusstörungen, Schlaflosigkeit bis hin zu Angstzuständen, all dies sind traurige Begleitumstände einer Tätigkeit in der Gastronomie. Doch wir werden derartige Zustände nicht länger hinnehmen. Egal ob festangestellt, LeiharbeiterIn, geringfügig Beschäftigt, ob in einem Stammbetrieb oder einer Catering-Firma: krankmachende Arbeitsbedingungen kennen wir alle. Es wird höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
FAU Kiel, am Workers' Memorial Day, den 28.4. 2011

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