12.18.2010

Bericht über den Generalstreik in Portugal am 24. November 2010

Der erste Generalstreik in Portugal seit 22 Jahren erhellt die soziale Situation in diesem Land. Eigentlich ist das Konfliktpotential in Portugal sehr gering und die Anzahl der Streiks sank in den letzten 30 Jahren trotz einer stetigen Verschlechterung der Situation der Arbeiterklasse. Gleichzeitig sinken die Mitgliedszahlen in den Gewerkschaften, denn die beiden von Parteien gelenkten Gewerkschaften dienen mehr der Befriedung und dafür Konflikte abzuwürgen, als Ausbeutung zu bekämpfen – und das blieb nicht unbemerkt.

Die portugiesische Gesellschaft hat in den letzten 50 Jahren einen bemerkenswerten Wandel durchlebt. Beginnend mit einer raschen Industrialisierung in den 1960ern, die vor allem durch ausländisches Kapital angeheizt worden war, entstand eine kämpferischere und organisierte Arbeiterklasse. Dann gab es einen Prozess der Deindustrialisierung, in dessen Folge Portugal sich zu einem Billiglohnland entwickelte, mit billigen Arbeitskräften wie in Osteuropa oder Asien. Heute besteht die portugiesische Wirtschaft vor allem aus kleinen ineffizienten Dienstleistungsunternehmen mit ArbeiterInnen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und niedrigen Löhnen. Die ArbeiterInnen sind voneinander isoliert und es gibt keine Tradition des Arbeitskampfes. Das ganze System ist seit 10 Jahren in einem konstanten Krisenzustand mit den ArbeiterInnen als erstem Opfer.



Nach dem Fall der Caetano Diktatur und einer damit einhergehenden Periode massenhafter direkter Aktionen kam es zu einer Demobilisierung der ArbeiterInnen in den 1970ern. Heute realisiert die Linke, dass niemand mehr übrig ist um die überlebenden Reste des Sozialstaates wiederbeleben. Der Kampf gegen die kontinuierlichen brutalen Attacken des Kapitals und die Aktivierung der Massen ist für sie zu gefährlich, da sie Angst hat, dass die Angelegenheit ihren Händen entgleitet. Sie führt ihre Kämpfe immer begrenzt und ineffizient aus: eintägige Streiks beispielsweise.

Dieses Mal beteiligte sich die sozialistische UGT Gewerkschaft an dem Streik, obwohl sie das Gefühl hatten, dass nicht viel zu tun sei, denn ihre Partei ist sowieso an der Macht. Sie begnügten sich damit, um Gefälligkeiten vom Staat zu betteln, damit Die Arbeiterklasse nicht alle notwendigen Opfer für die internationale Finanzspekulation alleine zu tragen hat. Und natürlich erreichten ihre Stimmen die höchsten Ränge in der Regierung, beispielsweise die ehemalige UGT Bürokratin und Arbeitsministerin Helena André, die jetzt mit der undankbaren Aufgabe betraut ist mit ihren ehemaligen GenossInnen über den Streik zu diskutieren. Die andere Gewerkschaft CGTP versucht über Populismus und die Reproduktion der Slogans der kommunistischen Partei Stimmen zu gewinnen, den die Präsidentschaftswahl steht kurz vor der Tür. Sie palavert von der „Verteidigung des nationalen Kapitals“. Es bedarf keiner Erwähnung, dass beide Parteien wenig dabei raus holen werden, den die Leute haben sie zu oft in Aktion gesehen um ihnen noch Glauben zu schenken.

Aufgrund der großen Unzufriedenheit und des Willens der Menschen etwas zu verändern, war dieser Streik größer als der letzte im Jahr 1988. Für einen Tag gab es weder eine U-Bahn in Lissabon, noch fuhren die Boote von Lissabon nach Tagus. Es verkehrten nur wenige Busse und Züge. Sämtlichen portugiesischen Häfen waren geschlossen und sämtlichen Flüge von oder zu portugiesischen Flughäfen wurden storniert, sehr zur Unzufriedenheit der Regierung, die zuvor noch die ArbeiterInnen gedrängt hatte nicht zu streiken. Alle Schulen, sowie sämtliche öffentlichen Behörden hatten geschlossen. In der Textilindustrie, in denen die Gewerkschaften einigen Einfluss haben, war die Streikbeteiligung relativ gering. Aber das Kronjuwel der portugiesischen Industrie, die von französischen und deutschen Eignern betriebene Fabrik Auto Europa, beteiligte sich am Streik und hielt ihre Produktion für einen Tag an. Selbst so ein unternehmensfreundlicher Apparatschik wie António Chora, Angehöriger des linken Blocks und Kopf der ArbeiterInnen Kommission, beteiligte sich am Streik. Die meisten Geschäfte, Supermärkte und Shopping-Malls hatten geöffnet und allein die Streiks im Transportwesen konnten etwas dafür tun, KonsumentInnen davon fernzuhalten. Es ist unnötig zu sagenm dass die meisten, wenn nicht alle Call-Center geöffnet hatten und normal funktionierten. Einigen von ihnen statten wir einen Besuch ab.

Selbst wenn der Streik groß gewesen ist, die von der CGTP beschriebene Anzahl und augenblicklich von der kommunistischen Partei übernommenen Zahlen von drei Millionen Arbeiter sind übertrieben. In Portugal, wo die aktive Bevölkerung etwas mehr als fünf Millionen beträgt haben zwei von fünf ArbeiterInnen einen befristeten Arbeitsvertrag und dazu kommen noch ungefähr eine Millionen pseudo-unabhängige ArbeiterInnen. Sie konnten dem Streik nicht beitreten ohne ihren Job aufs Spiel zu setzen, selbst wenn sie genug Gründe zum demonstrieren haben.


Aktionen in Lissabon

Unsere direktren Aktionen vor und nach dem Generalstreik wurden von der Bevölkerung gut aufgenommen. Das von uns verteilte Sonderflugblatt, welches wir in der Woche vor dem Streik verteilt hatten, wurde von den meisten interessiert angenommen und einige Leute fragten uns sogar nach extra Kopien, um sie selbst weiter zu verteilen.
Am Tag des Streiks organisierten wir mit anderen anarchistischen GenossInnen informative Streikposten. Am Morgen liefen wir durch Lissabon und verteilten unser Sonderblatt und andere Flugblätter. Wir betraten verschiedene Geschäfte, Restaurants, Supermärkte und Einkaufszentren, die geöffnet hatten und verteilten Propaganda an die ArbeiterInnen. Viele waren froh etwas zu erhalten, meinten aber dass sie sich nicht am Streik beteiligen könnten, weil sie sonst gefeuert würden. Wir besuchten auch verschiedene Call-Center, wo wir unsere Texte über Lautsprecher vortrugen und die Angestellten dazu aufriefen sich an der abendlichen antikapitalistischen Demonstration zu beteiligen.

Nach dem Mittagessen verteilten wir weiter Flugblätter und während wir uns in Richtung des Camões Platzes begaben, wo die Demonstration anfangen sollte, riefen wir die Menschen auf sich daran zu beteiligen.

Verschiedene antikapitalistische und antiautoritäre Kollektive hatten zu der Demonstration aufgerufen. Sie begann um 15.00 Uhr auf dem Camões Platz im Zentrum von Lissabon und lief unter dem Thema „Für Blockade und Sabotage – Der Streik endet nicht hier!“. Dies war die einzige Demonstration, zu der am Tag des General treiks in Lissabon aufgerufen worden war. Es waren lediglich 200 Menschen als die Demonstration begann aber im Lauf der Zeit wuchs sie auf 1000-1500 Personen an, die gemeinsam Sprüche riefen wie „A...;Anti....,Antikapitalismus“, „Die Menschen vereint, wir brauchen keine Partei“, „Sozialer Krieg gegen das Kapital“ oder „Sabotage, wilder Streik“. Wir beteiligten uns mit unseren rot-schwarzen Fahnen an der Demonstration und einem Banner auf dem stand:“Gegen kapitalistische Ausbeutung! Für soziale Gleichheit! Vereint und selbstorganisiert zeigen wir ihnen die Krise“. Gleichzeitig verteilten wir die letzten Flugblätter die wir hatten.

Nach der Demonstration besetzten verschiedene Leute ein leeres Haus. Sie nannten es „Haus des Streiks“ und verteilten kostenlos Essen an alle die es betraten; es wurde am nächsten Tag von der Polizei geräumt.


Aktionen in Oporto


Während des Morgens des Generalstreiks gingen wir mit Fahnen, Trommeln und einem Banner auf dem stand „Vereint und selbstorganisiert, wir zeigen IHNEN die 'Krise'“ gemeinsam mit unseren GenossInnen des anarchistischen Kollektivs Hipáti durch die alten und verelendeten Viertel von Oporto. An verschiedenen Plätzen hielten wir Kundgebungen ab, wir verteilten unsere Flyer an die Leute, und riefen sie dazu auf sich zu der von den offiziellen Gewerkschaften abgehaltenen Kundgebung auf dem zentralen Platz der Stadt zu begeben. Unsere Slogans waren: „Keine Kürzung der Sozial- und Arbeitsrechte!“, „Es i genügt nicht die Fliegen zu ändern – die ganze Scheiße muss weg!“,„Gegen Hunger und Armut – nehmts von den Reichen!“, „Gegen Staat und Kapital – Sozialer Widerstand und Soziale Revolution!“. Die Menschen nahmen unsere Flugblätter neugierig an aber die meisten blieben Zuhause und schlossen sich uns nicht an.

Mittags begaben wir uns mit einer größeren Gruppe zur São Bento Bahnstation. Wir begannen einige Lieder zu singen wie eine portugiesische Version des alten CNT Lieds "A la Huelga" während wir weiter unsere Flugblätter an die Leute verteilten oder anhielten um kurze reden über den Lautsprecher zu halten. Immer mehr Leute schlossen sich uns an auf dem weg zum zentralen Platz des Ortes, Praça da Liberdade. Währenddessen gaben die offiziellen Gewerkschaften eine Pressekonferenz ganz in der Nähe.

Uns fiel auf, dass die meisten die sich uns anschlossen entweder Mitglieder der kommunistischen Partei oder SympathisantInnen gewesen sind. Sie waren neugierig und zeigt sogar einige Sympathie. Spontan entschlossen wir eine kleine Versammlung zu verastalten bei der wir alle Menschen baten in den Lautsprecher zu reden und uns ihre Gründe für die Beteiligung am Generalstreik zu nennen. Auf einmal begann eine andere Gruppe, wir vermuten die Mitglieder der kommunistischen Partei, mit ihrem Lautsprecher den Platz zu beschallen, doch wir lieferten uns einen lustigen Dialog mit ihnen, eine Art „Theater der Unterdrückten“. Das verwirrte sie ein wenig und sie verließen den Platz.

Während der ganzen Zeit sahen wir weder Bullen, noch „offizielle“ GewerkschafterInnen. Selbst die erwartete Demonstration fand nicht statt. Es war kein wirklicher Generalstreik aber es war eine Demonstration des Misstrauens gegen die Regierung. Der Staat, die Bosse und Manager werden mit der Krise umgehen müssen, die wir für sie bezahlen sollen.


Associação Internacional dos Trabalhadores,
Secção Portuguesa – AIT-SP

Lisbon, December 14, 2010


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